Mit knapp 80 Kilometern in den Beinen sitze ich hier in einem warmen, polnischen Kaffee, mitten in der Altstadt von Wroclaw (Breslau). Draussen tanzen die Schneeflocken. Unter meinen Schuhen löst sich langsam aber sicher der Dreck der letzten paar Tage. Das gibt wieder eine Sauerei wenn ich aufstehe.
Bei der Stadteinfahrt sprach mich Jakob an. «Hast Du nicht kalt?». «Danke, geht grad noch, nur die Füsse spüre ich nicht mehr, und Du?». «Ach, der polnische Winter ist noch nicht vorbei, mir ist es zu kalt, bin aber bald Zuhause!». Eine ältere Frau kommt dazu: «Bist Du von der Schweiz bis nach Wroclaw gefahren? In dieser Kälte?!».
Die Schweizerfahne hat sie also sofort erkannt. Sie erzählt, dass sie ihren Hund, der auch bis auf die Knochen schlottert, aus Deutschland habe. «Er hatte es nicht gut, musste leiden wurde mit dem Stock geschlagen. Er hört nichts und sieht schlecht, 14-jährig. Aber bei mir hat er’s gut. Bekommt bestes Futter und ich gehe jeden Tag 1 Stunde laufen. Bis nach Nepal willst Du radeln? Ich könnte das nie, bin zu alt. Hast Du gehört mein lieber, bis nach Nepal will die Frau! Ach, er hört wirklich nicht mehr gut. Mein Englisch ist auch schlecht, entschuldige. Geh bitte nach Drinnen für die Nacht. Ich wünsche Dir das Beste. Das Allerbeste und viel Glück!».
Langsam merke ich wie der Schweiss unter der Jacke abkühlt. Bekomme kalt aber die guten Wünsche der alten Dame und von Jakob wärmen mein Herz! Zwei Tage bin ich nun auf polnischem Boden unterwegs und die Begegnungen waren alle so herzlich.
Bereits nach der Grenze fühlte ich mich wohl. Die Gegend erinnerte mich ans Simmental. Nicht entlang der Simme aber der Klikawa. Nicht so bergig aber hügelig. Schön verschneite Wälder. Ich mag Polen.
Die Lastwagenchauffeure hupen mir zu, beim Überholen schaue ich in ihr Rückspiegel und sehe wie sie winken.
Der Mann von heute Morgen blieb am Strassenrand stehen und klatschte in die Hände. Das ist einfach herrlich. Tut der Seele so gut! Zaubert mir für Minuten ein Lachen ins Gesicht.
Gestern habe ich in Zabkowice Slaskie (Frankenstein) zwei neue Freundschaften geschlossen. Ein hübsches kleines Dörfchen auf dem Hügel. Bei der Kreuzung gönnte ich mir ein, aber wirklich nur ein! «Reiheli Schoggi». Sebastian kam zu mir und fragte: «Willst Du einen frischen Chicken-Wrap? Ich mach Dir gleich einen, du hast bestimmt Hunger? Hast Du schon einen Platz für die Nacht? Mein guter Freund wohnt gleich bei der Burg im alten Schwesternhaus». Schon ist er am Telefon und ich höre gespannt der polnischen Sprache zu! Gefällt mir, tönt gut, irgendwie hart und zugleich melodiös mit den vielen sch. «Aleksander hat Platz, aber es ist schwierig ihn zu finden, komm ich fahr Dir mit meinem Lieferauto vor!»
Manchmal tue ich etwas, ohne zu wissen warum, lasse der Situation einfach freien Lauf. Kennt ihr das?
Irgendwie weiss ich, dass ich Sebastian vertrauen kann. Bauchgefühl. Bei Familie Marzec angekommen, staunte der Hausherr nicht schlecht. «Komm rein, ich habe ein warmes Zimmer für Dich, das Fahrrad nehmen wir auch gleich in den Gang, da ist es sicher». Ruckzuckzackzack, war alles Material im 500-jährigen Zimmer. Ich sitze mit Aleksander und seinem Sohn auf dem grünen Sofa, er holt Geschichtsbücher von Frankenstein hervor, zeigt mir sein Gästebuch wo ich was reinschreiben soll und will alles rund um das Fahrrad wissen. Von den speziellen Korkgriffen über die Scheibenbremsen bis zum Klickpedal. Eine interessante Stunde!
Zu Fuss schlendere ich durch das Dorf, will mich noch bei Sebastian bedanken. Laufen tut gut. Er steht in seinem Imbiss-Stand und sieht mich schon von weitem. «Ich mache Dir jetzt was zum Essen, alles frisch, dauert aber 12 Minuten, ok?!».
Es gibt Tage, da ist es sehr einfach und alles wird einem serviert.
Sebastian arbeitete als IT-Techniker in Polen, war dann 10 Jahre in England und lebt nun mit seiner jungen Familie wieder hier in der Heimat! Er zeigt mir ein Video seiner Tochter, der stolze Papa strahlt. «Maria, erkläre mir, warum macht ein Mensch solch eine Reise? Was sagt Deine Familie, was sagen Deine Freunde dazu? Willst Du keine eigene Familie?». Wir kennen uns keine 10 Minuten und er hält mir den Spiegel hin. «Sag Du mir zuerst, warum Du damals nach England gegangen bist?». «Ah, ich wollte eine neue Herausforderung, etwas Neues lernen». «Eben!».
Als ich die schwere Tüte mit meinem Nachtessen bezahlen will, meint er: «Bestimmt nicht! Wir sind Freunde».
Er schreibt mir noch seine Nummer auf, falls ich ein Problem in Polen habe, soll ich ihn anrufen. Freunde!
Danke euch beiden für Alles. Dziekuje!
Ach fast hätt ich’s vergessen: Prag war schön. Und kalt.
Liebe Grüsse, Euer Thesi
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Doris (Donnerstag, 22 März 2018 22:00)
Ach wie berührend, diese Geschichten von den warmherzigen Menschen in Polen. Danke Thesi, dass Du uns teilhaben lässt an Deiner Reise. Stay happy and healthy :-)!!
Herzliche Grüsse und viel Glück auf der Weiterreise...do
Alexander Marzec (Freitag, 23 März 2018 08:36)
Grüße aus der Villa Podzamcze aus Zabkowice (Frankenstein) Ich halte die Daumen für meine weitere Reise und werde ihre Fortschritte auf dem Blog verfolgen
Seelenreise (Freitag, 23 März 2018 17:22)
Liebe Maria-Theresia,
Deine schöne Geschichte ist herzerwärmend. Ich habe in den letzten Tagen oft an dich gedacht und mir vorgestellt, wie es dir wohl in dieser bitteren Kälte geht.
Wunderbar, diese Menschen, die dir begegnen und Anteil nehmen.... Wir finden einfach überall auf der Welt Freunde. Das ist so!
Hebs guet und bis bald wieder uf em Blog....
Regina (Freitag, 23 März 2018 17:55)
Liebe These, überall auf der welt gibts herzliche, warme begegnungen, von denen wünsche ich dir noch viele.... frühlingshafte grüsse vom thunersee
Hansueli (Freitag, 23 März 2018 18:26)
Liebes Thesi, einmal mehr hast du einen herzerfrischenden Blogbeitrag geschrieben. Vielen Dank. Ich hoffe, dass die (Seelen-)Wärme bis in die Füsse hinab geht. Kalte Füsse auf dem Velo sind unangenehm. Viel Wärme und alles, alles Gute aus Heimberg! Hansueli
Monika (Samstag, 24 März 2018 13:43)
Liebe tessi
Ich hoffe die Kälte ist bald vorbei und die Sonne wärmt dich beim radeln. Es ist eine wunderbare polnische Geschichte, die du aufgeschrieben hast.... leider viel zu kurz. Am liebsten würde ich jede Minute lesen, die du erlebst...es sind so schöne und wertvolle Erfahrungen. Ich wünsche dir weiterhin eine tolle Reise mit wunderbaren Erlebnissen...und vertraue auf dein Bauchgefühl. Allerliebste Grüsse vom donnerlütchen
Bernadette (Samstag, 24 März 2018 19:10)
Liebe Maria-Theresia
Heute, bei unserer ersten Frühlingswanderung – es war so schön, dachte ich ganz fest an dich und meine Vorfreude abends deinen Blog zu lesen, wanderte mit!
Jetzt habe ich deine neuesten Erlebnisse gelesen : Wiederum waren deine täglichen Begleiter Kälte und Schnee, aber du hast erneut warme Herzen angetroffen, neue Freunde gewonnen! Es ist so berührend was dir alles widerfährt – hoch erfreut rufe ich Richtung Osten: Ich gönne es dir von Herzen, liebe Maria-Theresia - mach weiter so, halte Augen und Herzen offen!
Mit liebsten Grüssen Bernadette
Silvia (Mittwoch, 28 März 2018 11:32)
hallo Thesi lange habe ich dich nicht mehr gefunden auf dem Netz - jetzt endlich hat es geklappt und ich werde mit Genuss dein 4. und 5. Blog lesen.
Ich wünsche Dir schöne Ostern und gute Weiterfahrt
lg usem Aargau