Die Kaffeemaschine mahlt im Hintergrund Arabicabohnen. Alleine der Duft wärmt die kalten Finger.
Sitze auf einem Hochstuhl in der Altstadt von Warschau direkt am Fenster. Vis à Vis die Centralna Biblioteka Rolnicza und davor ein Zitat von Jan Pawel II. «Ich habe nach Dir gesucht, du bist jetzt zu mir gekommen, danke dafür». Danke an Google Übersetzer!
Tomasz, in Warschau geboren, in Warschau studiert - also ein echter Warschauer - erzählt auf der Strasse: «Wir hatten den Papst, Johannes Paul II – die Physikerin und Chemikerin, Marie Curie, welche wir lieben und den grossartigen Komponisten Frédéric Chopin, so everything is fine». Er ist stolzer Warschauer. Kennt die Geschichte bis ins 15. Jahrhundert zurück.
Es ist Karwoche und das Göttliche liegt gerade hier in Polen so unglaublich nah!
Das erlebte ich hautnah am Palmsonntag in einem kleinen Dorf, Kapie. Sehr abgelegen in der Weite der polnischen Landschaft. Immer wieder probiere ich auf kleinen Nebenstrassen zu fahren. Die sind zwar verlassen und führen Kilometerlang durch den Wald aber ich muss üben, üben, üben. Es geht immer besser, gewinne das gute Gefühl zurück, finde den Rhythmus, weiss, dass ich ohne Stress solche Strecken meistern kann. Lerne wachsam zu sein, lerne aber auch zu geniessen. Diese Ruhe. Nur das Rattern des Gepäcks, der eigene Atem, das Zwitschern der Vögel.
Denke an die lieben Menschen zu Hause, denke aber auch nichts.
Wenn ich aus dem Wald komme, erlaube ich mir einmal auf die linke Schulter zu klopfen, aber nur einmal! Eigenlob. Genau, aber das stinkt nicht, das tut einfach meiner Seele gut. Sind wir doch ehrlich, wie gerne werden wir für etwas gelobt?!
Kurz vor Kapie lichtet sich der Wald und das kleine Dorf ist wie ausgestorben. Wo sind all die Menschen? Die Zeit scheint stehen geblieben. Geisterhaft!
Ausgangs Dorf glänzen schon von Weitem die Autodächer in der Sonne. Immer mehr Autos, für Freddy und mich gibt’s fast kein Durchkommen mehr. Was ist hier nur los? Des Rätsels Lösung steht hinter der nächsten Kurve. Die Kirche. Sie ist voll besetzt bis auf den letzten Platz, die Türen weit geöffnet, alle Dorfbewohner haben sich versammelt, stehen wegen Platzmangels sogar auf dem Vorplatz und lauschen dem Gottesdienst durch die Lautsprecher. Fünf Minuten vor zwölf. Eine Träne läuft mir runter, das Ave Maria wird angestimmt. Berührt mich sehr, ich kann mir gar nicht erklären warum…
Mit beiden Füssen fest auf dem Boden stütze ich meinen Oberkörper auf den Lenker.
Der Moment irgendwie perfekt. Einzig.
Die Fahrt geht weiter Richtung Lodz. Das Lied mit Theo läuft mir nach. Kann aber nur die eine Linie, Theo wir fahr’n nach Lodz, Theo wir fahr’n nach Lodz. Wird schnell langweilig mit diesem Theo und bis nach Lodz hab ich’s am selben Tag auch nicht geschafft. Aber nach 123 Kilometer ist auch mal gut.
Spontan meldet sich, nein nicht Theo, aber Ursula an: «Thesi ich buche ein Zugticket nach Warschau, wann bist Du dort? Soll ich Schokolade mitbringen?» «Übermorgen! Und Schokolade geht immer!» Zackzack hat sie sich ein Ticket organisiert, ein Hostel gebucht und ich pedale im Eiltempo nach Warszawa Peron 2.
Das freut mich sehr nimmt sie den langen Weg auf sich, das Wiedersehen super! Besuch in Warschau – einfach schön! Danke Ursula.
Bei minus 2 Grad erkunden wir die Stadt. Wolkenkratzer neben Häuserblocks aus der Sowjetzeit. Auch wenn wir nicht viel von der Architektur verstehen, aber sie lässt uns staunen. Die ganze Altstadt ist im zweiten Weltkrieg zerstört worden – möglichst originaltreu wurde sie neu aufgebaut. Aber was schreibe ich hier, das könnt ihr alles im Internet nachlesen.
Huch, Kaffee fertig – Zeit für Pirogi! Teigtaschen typischerweise gefüllt mit Sauerkraut und Pilzen.
Meine lieben...heits guät und Adiö Mersi
Öies Thesi
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Danielaaaaaa (Freitag, 30 März 2018 09:24)
Ach so schön :) Theselita ud Bursle ir grosse Stadt. Da chiemi aso o gad gärn hurti verbi. Aber di Karfritigsmäss mues ja o ghüetet si, gäll ;)
I wünscheder witerhin gueti Fahrt u hoffe du gschpürsch vlich gli mal es bitzeli Früehlig.
Bis gliii.. :-*
Seelenreise (Freitag, 30 März 2018 22:30)
Liebe Maria-Theresia,
das ist ja wieder ein sehr berührender schöner Bericht....
Was du da mit dir anstellst, durch die einsamen Wälder radelst, dich auf die Landschaft und die Tiere darin einlässt, einfach gut.... ursprünglich.
Aber "sauchalt" ist es immer noch. Dauer vermutlich noch eine Weile, bis die Wärme auch dorthin hochströmt.
In ein paar wenigen Tagen wirst du ja an der Grenze zu Russland sein. Bin schon sehr gespannt, was du über dieses Land berichtest. Kannst du die kyrillische Schrift lesen?
Hebst guet und vertraue dir weiter....
Herzlich, Heidi
Bernadette Kälin (Montag, 02 April 2018 22:01)
Liebe Maria-Theresia
Abermals, vielmehr bereits zum sechsten Mal dürfen wir eine Weile en route mit dir sein: Staunen – dich bewundern und uns erfreuen ob all den Vorkommnissen, die dir tagtäglich widerfahren. Danke für die angeregte Lektüre. - Ich wünsche dir weitere Freudentage, sei es mit wundervollen Begegnungen oder herrlichen Landschaften.
Viel Glück – herzliche Grüsse Bernadette