Das war knapp! In letzter Minute erwischten wir den Zug 760 der im Eiltempo von Moskau nach St. Petersburg hoch rattert. Im Zugfernseher zeigen sie gerade einen Film, wie eine Maus im Versuchs-Labor Stromschläge bekommt. Ich liebe Fensterplätze! Freddy ist im Gang vorne. Vier Taschen stützen ihn vor dem Umkippen, die Anderen sechs sind irgendwo verteilt. Es eilte! Doch dazu später mehr.
Von der russischen Grenze Terehova bis nach Moskau waren es gute 600 Kilometer und die Begegnungen unterwegs möchte ich euch nicht vorenthalten.
Chrigu, ein treuer Blogleser und Tourenfahrer schrieb mir in einem Mail, wie sein Grenzübertritt letztes Jahr abgelaufen ist. 20 Minuten brauchte er. Ziemlich zügig! Ich brauchte 5 Minuten länger – wohl des Toilettenstopps wegen. Die Damen an den insgesamt sieben Grenzposten sind alle sehr freundlich, bestaunen Freddy, füllen mir das Formular aus, stempeln den Pass. Der Herr am Schlussposten prüft alles, lächelt «Welcome to our Country» und winkt mich durch! Jetzt aber ab nach Moskau – Mama fliegt in 6 Tagen ein. Mit dieser Vorfreude werden meine Beine stärker. Bis zu 145 Kilometer pedale ich. Gedanken können lenken! Denke nur noch an Moskau. Genau das ist das Gefährliche.
Erinnere mich an einen Ausschnitt aus einem SMS von Evelyne Binsack «….ohne ans Ziel zu denken». Wiederhole und Wiederhole den Satz. Ohne ans Ziel zu denken, ohne ans Ziel zu denken. Mein Denken, die Gedanken zu ändern, zu leiten dafür brauche ich Zeit. Wenn sich zB. bei der Arbeit, im Tun ein Fehler eingeschlichen hat, wurde ich von Kollegen und Vorgesetzten darauf aufmerksam gemacht. Es wurde gefeilt. Hier unterwegs muss ich selber merken, wenn ich ein Denkverhalten ändern muss, analysieren und reflektieren immer wieder von Neuem. Da kann ein einziger Satz extrem viel dazu beitragen! Ohne ans Ziel zu denken!
Ein Österreicher fährt mir auf seinem Motorrad vor. Hält an. Der hat’s aber schön, mit seinem Gashebel! «Servus, Du hast’s aber schön, Du kannst Dich wenigstens bewegen». Als hätte er meine Gedanken gelesen! «Hast Du Klebeband mit dabei? Hab Deine Fahnen gesehen, gell das ist die Berner? Will Meine auch wieder montieren!» «Aber hallo! Klar habe ich Klebeband, Kabelbinder, Sekundenleim, Messer, such Dir was aus, kennst Du den Kanton Bern?», «Das Simmental kenne ich gut, bin immer mal wieder in Därstetten!» Im Gebüsch findet er ein ideales Holz und die Fahnen sind schnell montiert. «Ich bin Tom und Du?», «Maria-Theresia». Er lachte und dachte ich mache einen Scherz mit ihm! «Sicher, so wie eure Maria-Theresia!».
Es beginnt zu regnen, wir fahren weiter. Tom macht bis zu 800 Kilometer pro Tag!
Ein paar Stunden später fährt mir ein grüner Prachtstruck vor. Luzerner! Hurra, auch der hält an. Lukas von Pajechali Reisen – Sibirien lässt niemanden kalt - ist grad am Auswandern an den Baikalsee, Sandro sein Kollege begleitet ihn bis dorthin. Die beiden sind bei bester Laune und wir haben einen Schwatz am Strassenrand der M9. «Wann seid ihr am Schwanenplatz losgefahren?», «Am Dienstag». Waas?? Unglaublich! Am Dienstag bin ich grad mal über die russische Grenze. Es tut gut ein paar Worte in der eigenen Sprache zu wechseln. Ein Stück Heimat. Wir drücken uns und fahren weiter. Beide in ihrem eigenen Tempo.
Die Strecke ist immer gleich und doch anders. Die Strasse, links und rechts Wald, dann und wann ein Feld. Händler verkaufen am Strassenrand ihre ausgestopften Bären und Pelze. Immer mal wieder eine Tankstelle. Die Dörfer sind 5 bis 10km abseits der Strasse. Öde? Keineswegs. Da ist das Rauschen vom Wind in den Ohren, die Wolken, die Bilder in den Himmel zeichnen, Schmetterlinge die ein paar Meter neben mir her fliegen, überfahrene Tiere für die ich hoffe, dass es ein schnelles Ende war und da sind meine Gedanken und die Fantasie. Die beiden haben hier richtig Zeit und Raum sich auszutoben. Mein Hirn kann tun was es will, muss sich an nichts erinnern, sich nichts merken, keine Befehle ausführen, kann sich freuen, kann traurig sein, ist völlig frei. Die Beine wissen was sie zu tun haben.
Ein Auto hält an. Zwei junge Männer steigen aus und staunen ab meinem Fahrrad. Sie öffnen ihren Kofferraum und jetzt staune ich! Er ist voll mit Überresten aus dem 2. Weltkrieg. Verrostete Waffen, Becher, Helm, Gamelle, Autobatterie mit der Jahreszahl 1941, alles da. «Wir suchen und graben in unserer Freizeit. Hobby. Wir sind tagelang in den Wäldern unterwegs. In Moskau haben wir in einem Keller alles ausgestellt. Wir möchten dir die Gamelle schenken, sie wird Dir Glück bringen, sie hat bis heute überlebt. Schau da sind noch Initialen von einem deutschen Soldaten». Ach wie lieb von den Beiden, aber das kann (und will) ich unmöglich annehmen! Mache ein Foto in der Hoffnung, dass die Gamelle auch so Glück bringt!
500 Kilometer seit der Grenze. Die M9 führt direkt durch das erste Dorf. Nicht mehr weit bis nach Moskau. Der Verkehr wird dichter. Am Abend plane ich meine Fahrt in die 12 Millionen Metropole hinein. Viel zu planen gibt’s nicht, einfach geradeaus, jede grössere Strasse führt direkt zum roten Platz, da die Stadt sternförmig ist. Sollte also ein Klacks sein. Früh morgens um 07:00 Uhr bin ich im Sattel. 40 Kilometer dichter Verkehr. 40 Kilometer volle Aufmerksamkeit. Der Rückspiegel ist Gold wert und die Busspur mein Freund. Einmal um den Kreml rum, links hoch und da ist er, der rote Platz. Hunderte von Soldaten stehen stramm, mir egal, ab durch die Mitte. Endlich da, 1. Etappe geschafft.
Freddy parkiere ich vor der Basilius-Kathedrale, in diesem Moment schreien die Soldaten im Chor: «Hurra, Hurra!» Soviel sag ich auch, Hurra! Punktlandung, das ist Timing! Sekunden später schickt mich die Polizei weg, da wird geübt für die Militärparade von Übermorgen, Tag des Sieges. Morgen ist jetzt aber erst mal Tag der Mama! Hurra!
Viel zu früh bin ich am Flughafen, sitze 3 Stunden im Kaffee und stehe 2 Stunden gespannt beim Arrival! Freue mich so sehr sie in die Arme zu nehmen, will sie nicht verpassen. Ich bin ein richtiger Glückspilz, meine Mama unterstütz mich zu 100%. Steht hinter mir, stärkt mich in meinem Tun. Sie kommt mich sogar besuchen, das ist nicht selbstverständlich. Sie ist meine Heldin.
Die Schiebetür geht auf, eine Gruppe Chinesen, ausgerüstet mit Nackenkissen folgen der roten Fahne. Schiebetüre zu. Auf, zu, auf, zu, auf, da kommt sie! Mama ist da. Was für ein Wiedersehen, als sei es gestern gewesen. Wir drücken uns und ich kann es kaum glauben.
Moskau haben wir erkundet. Was es dort zu sehen gibt: Google it!
Wir nähern uns mit 219kmh Sankt Petersburg.
Im Zugfernseher läuft mittlerweile ein Kriegsfilm. Wir zwei sitzen da und haben den grössten Frieden.
Beste Grüsse von uns Beiden!
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Doris (Freitag, 11 Mai 2018 08:28)
Hallo, Ihr Beiden!! Riecht Ihr meinen Kaffee??? Was Ihr wohl zu Essen kriegt im Zug? Spannender Bericht, liebe Thesi, danke :-)! Von Herzen eine interessante Reise mit eindrücklichen Erlebnissen. Sende Euch ein Stück blauer CH-Himmel und Sonnenschein. STAY HEALTHY AND HAPPY. Eure d‘O
Seelenreise (Samstag, 12 Mai 2018 11:38)
Ihr zwöi Liebe,
Schön von euch zu lesen. Ich wünsche euch eine gute Reise mit vielen gfröiten eindrücklichen Erlebnissen durch die Weiten dieses Landes und an wohlbehaltenes Ankommen in Wladiwostok.
Und gäll, Maria-Theresia, dä Wäg isch Ziel - nöd vergässe :-)
Seid beide herzlich umarmt,
Heidi
Bernadette (Samstag, 12 Mai 2018 21:00)
Ein fröhliches Grüezi an euch ZWEI LIEBEN!
Der aktuelle Blog zeigt auf, ihr seid unterwegs und gleichwohl für eine Weile angekommen. Geniesst den gemeinsamen Monat mit all dem Neuen in seiner ganzen Einmaligkeit, seiner unberührten Schönheit!
Weiterhin viel Vergnügen – alles Liebe!
Mit einer eidgenössischen Umarmung
Bernadette und Werner
Anne-Lise (Sonntag, 13 Mai 2018 13:24)
Liebs Thesi, liebe Kathrin
Ich wünsche euch Beiden eine schöne interessante Weiterfahrt. Bis Irkutks bin ich die Strecke schon gefahren. War sehr spannend, vor allem an den Bahnhöfen. Ich hoffe ihr macht auch eine Schifffahrt auf dem Baikalsee.
Alles Liebe, machest guet, umarme euch Beide
Anne-Lise
Aschi (Montag, 14 Mai 2018 19:16)
Liebe Thesi und Kathrin,
schön zu hören, dass ihr zwei fernab der Schweiz euch habt umarmen können. Geniesst die Zeit der
Zweisamkeit. Das Erlebte kann euch nie mehr genommen werden. Passt aber auf euch auf und bleibt
gesund und munter. Dir Kathrin ein grosses Lob!!! wie du deine Tochter ziehen lässt. Das zeugt von grossem Vertrauen.
Viele liebe Grüsse aus Palma
Aschi