In meiner Tasche warten zwei Schläuche. Die müssen geflickt werden. Hatte die dritte Platte. Nun, die können warten. Der Blog ist dran.
Es hat sich langsam angebahnt – kurz nach Nagoya hat es mich dann voll erwischt. Das Tief. Wie ein Taifun. «Warum schiebe ich stunden mein Göppel diesen Pass hoch? Warum nur?». Zu viele Fragen. Zuviel Schweiss. Zu heiss. Stehe zur Mauer und zeige mir so pragmatisch wie’s nur geht meine Reise auf. Wie auf einer Wandtafel. Rede laut vor mich hin. Vor einem halben Jahr bist Du hier gestartet. Im Moment bist Du hier in einem Tief, mitten drin.
Du wusstest von Anfang an, dass dieses Tief kommen wird – hier ist es, nimm es an. Zeige den nächsten Punkt weiter rechts auf der Mauer auf. Hier wird das Tief vorbei sein – geh hindurch, beisse. Es gibt im Leben Hochs – aber auch Tiefs! Im Hoch, bin ich voller Kraft, im Tief kraftlos. Unmotiviert und ohne Kamera fahre ich aus Osaka los. Die Kamera wird mir in 7 Tagen nachgeschickt. Bravo. Sage zu mir: «Thesi, fertig jetzt! Lass es fahren. Lass es rollen. Lass es gehen. Denk nicht. Geniesse nur!!!» Kurz darauf winken mir zwei vom Strassenrand zu.
Zwei Liter Wasser und ein Pack Eiswürfel in der Hand parat. Kouhei und Hiroco laden mich spontan zu sich nach Hause ein. Die Sonne verschwindet grad am Horizont, 30 Kilometer to go! Schaff ich. Bin motiviert. Spüre die Kraft in meinen Beinen. Vom Tief ins Hoch katapultiert. Von einem Extrem ins andere in so kurzer Zeit. Hab ich wieder ein Glück!
Vor ihrem Haus hupe ich mit meinem indischen Hupi! Ganz schön laut. Wie alte Bekannte kommen sie zur Tür und wir geben uns eine Umarmung. Das ist so herzlich. So ein ehrlicher Drücker nach Monaten tut schon gut. Einen ganzen Tag verbringe ich mit den zwei lieben in Himeji. Sie zeigen mir die Burg und wir wandern zum Drehort von «The Last Samurai». Sie designen und Nähen Ledertaschen. Diese verkaufen sie in Tokyo. Hoffen auf den grossen Durchbruch – ich wünsch es ihnen von Herzen! Stunden sitzen wir in ihrem Atelier, tauschen uns aus. Als Andenken schenken sie mir eine Tasche! WOW, die werde ich in Ehren tragen. Und was habe ich für Sie? Ein einfaches DANKE! Herzensgute Menschen durfte ich kennen und schätzen lernen. Mit neuer Energie fahre ich los – der Abschied schwierig. Blicke keine Sekunde zurück. Was kommt liegt vorne.
Dieser Fahrtag ist gespickt von Highlights. Ein Mann schenkt mir Wasser, eine Familie feuert mich an und beim nächsten Rotlicht stehe ich neben Mutter mit ihren drei Jungs still. Der eine schaut mein Rad an und ist sich nicht sicher ob es wirklich ein Fahrrad oder sonst etwas ausserirdisches ist. Um ihn aus seinem Schockzustand zu befreien bewundere ich sein kleines Rad! «Deines ist aber auch sehr toll!». Frage die Mutter ob sie wisse, ob ich da vorne im Park übernachten könne. «Du kannst dort schon übernachten…hmmm…aber willst Du nicht lieber zu uns kommen? Bei uns kannst Du duschen und wir machen ein kleines Feuerwerk heute Abend. Das wird toll. HAbe auch eine Waschmaschine für Deine Wäsche». Ja ich stinke und die Einladung von Mayumi nehme ich sehr gerne an . Minuten später spiele ich mit den Jungs «Auto parkieren»! Sie leben auf engstem Raum. Die Kinder haben kein Zimmer, am Abend wird eine Matte im Wohnzimmer ausgelegt. Wenn ich denke, bei uns haben die meisten Kinder ein eigenes Zimmer! Wahnsinn. Luxus. Am Morgen klammert sich der älteste an mein Hosenbein, begleite ihn noch zur Schule. Der Abschied wieder schwierig. Gewöhne mich einfach nicht daran
Die nächste Nacht verbringe ich auf einem Parkplatz auf meiner Matte. Gucke zu den Sternen und bin glücklich solch ein Glück zu haben. Eine Kakerlake besucht mich spät abends. Sie bleibt über Nacht. Mücken gesellen sich dazu und saugen sich voll. Die sind auch glücklich!
Heute führt mich ein Um-Weg über eine der schönsten Strecken Japan’s. Praktisch nur einheimische Touristen…fährt eben kein Shinkansen dort durch! 70 Kilometer von Insel zu Insel immer wieder über eine grosse Brücke. Traumstrände überall. Bambuswälder. Am Schatten neben einem Getränkeautomaten treffe ich auf Heulwen und Darren aus England. Bequem sitzen sie in ihrem Liegerad und geniessen den Schatten. Seit drei Jahre sind sie unterwegs. Mit 40 wurden sie pensioniert, sie haben bei der British Army 22 Jahre durchgedient und haben nun Zeit. Zeit die Welt zu Er-Fahren. Am Strand plaudern wir noch weiter bis spät in die Nacht.
Nach zwei weiteren Tagen, bei doch sehr angenehmen 36° Grad bin ich nun in Hiroshima angekommen. Bei der Einfahrt dachte ich an die erste Atombombe die 1945 hier abgeschossen wurde…sehe aber wie die Menschen heute den Schlamm und Dreck aus den Häusern bringen. Vor ein paar Wochen wurden hier viele Teile wegen des starken Regens überflutet.
Mache mich gleich auf die Suche nach einer Kartonbox – will den Jungs von Mayumi ein Päckli schicken.
Morgen bekomme ich nämlich auch ein Päckli. Meine reparierte Kamera aus Osaka ist auf der Post. Und die japanische Post ist schnell! Schnell wie der Shinkansen, den wollte ich schon einige Male fotografieren – hab es bis jetzt nicht geschafft, nein ich bin nicht zu langsam – er ist zu schnell!!
Nun sitze ich hier im Hostel, links von mir Laurent. Ein Franzose der in Deutschland lebt und arbeitet. Er ist Pilot für Kleinflugzeuge und Ingenieur bei Airbus. Rechts von mir Edi. Auch ein Deutscher der aber in Kuala Lumpur für eine Dänische Firma arbeitet. Sie drucken Windeln.
Vis à Vis Miriam, aus Chicago. Sie ist Lichttechnikerin und zurzeit mit einem Musical auf Welttournee. Verschiedene Menschen, verschiedene Geschichten aber alle sind wir schockiert was hier in Hiroshima damals passiert ist. Der Mensch ist in der Lage solch eine Waffe zu bauen wie «Little Boy», aber dass der Mensch in der Lage ist sie abzuwerfen! Schrecklich! Wir können es nicht verstehen. Wir sitzen hier, wo vor Jahren tausende Menschen innert Sekunden ausgelöscht wurden. Wir finden keine Worte…
Morgen fahre ich weiter südlich Richtung Fukuoka…aber jetzt muss ich zuerst noch zwei Schläuche flicken!
Liebe Grüsse
Euer Thesi
Kommentar schreiben
Hermann (Mittwoch, 22 August 2018 09:11)
Liebe Maria-Theresia
Einmal mehr komme ich aus dem Staunen nicht heraus, wenn ich deinen Blog-Beitrag lese. Staune über all das, was du erlebt hast und uns schilderst. Staune aber auch über dich, deine Einstellung oder Philosophie und deinen Durchhaltewillen.
Sei weiterhin behütet
Hermann
Seelenreise (Sonntag, 26 August 2018 20:09)
Oh, liebe Maria-Theresia, deine Ausdauer, dein Durchhalten ist wirklich immens. Und das bei dieser extremen Hitze!! Völlig menschlich, wenn du da Mal einen Tiefpunkt erreichst und dann solch lieben Menschen begegnest, die dir mit ihrer Schlichtheit und Gastfreundschaft wieder Kraft geben. Es ist so schön, überall auf der Welt Menschen zu begegnen, die dir Zeichen der Freundschaft schenken.
Heb dure… du schaffs es!
Herzlich, Heidi