Fukuoka. Sitze sozusagen im Frigor. Fukuoka-Frigor!
Mit Merinowolle-Jäcken bei 20 Grad friert es mich. Draussen 40 Grad. Ende August! Japan hat vier Jahreszeiten. Gestern sagte mir ein Japaner: «Normalerweise wird es kühler ab Mitte August, aber was ist normal? Normalerweise esse ich nach 16:00 Uhr ein Eis – hier eins für Dich. Kiwi-Eiskugeln. Magst Du Kiwiglace?» «Normalerweise schon. Danke!»
Vor zwei Tagen habe ich die Hauptinsel Honshu verlassen. Vier Tage bis Kagoshima und noch ein paar Tage auf Okinawa. Ein paar Dutzend kleinen Inseln. Eine Inselkette die sich über etwa 1000 Kilometer von Kyushu nach Taiwan erstreckt! Und dann…dann sind drei Monate in Japan gespeichert. Gespeichert im Herzen.
Heute möchte ich euch eine Begegnung im Detail erzählen. Da ich einmal gelernt habe, in der Kürze liegt die Würze. Oder eben: "Segg isch sexy", probiere ich jeweils im Blog nicht länger als eine A4 Seite zu werden. Wisst ihr wie vieles ich in einer Woche erlebe? Eben. Eine Begegnung – Eine A4 Seite (reicht wohl wieder nicht).
Jeden Tag schwitze ich. Heute besonders. Kurz nach dem Taifun ist es wieder extrem drückig bei 40° Grad. Denke jetzt schon (12:00 Uhr) eine Dusche wäre heute Abend «z zäni»!
Nach 100 Kilometern habe ich genug für heute. Schlussdibuss. Es ist bereits dunkel. Finde aber keinen Platz. Kein Park, kein Golfplatz, kein Strand. Bin grad ausserhalb der Stadt Hofu. Frage bei einem seven eleven Shop, welcher 24h offen hat, ob ich mich wohl hinter dem Laden hinlegen dürfte. Der Arbeiter weiss nicht recht, sagt dann nein und entschuldigt sich. Schon ok. Setze mich draussen erst mal auf den Boden und lasse meine Herzpumpe pumpen. Die eine Schweisstropfe auf meiner Wade kullert langsam Richtung Ferse, auf ihrer Fahrt nimmt sie denn Strassendreck grad mit. Praktisch. Selbstreinigung sozusagen. Sie versickert im Riemen der Sandale. Je nach Bahn sind die einen Tropfen schneller, die anderen langsamer. Realisiere, dass ich meine Schweisstropfen beobachte??!! Lustig. Eine Dusche wäre jetzt das Non Plus Ultra.
Ein Mann setzt sich auf sein Moped und will grad davonfahren. «Entschuldigung, wissen sie vielleicht einen Platz hier in der Nähe wo ich übernachten könnte?». Er studiert. «Hier weiss ich nichts, aber weiter vorne in der Stadt gibt es Hotels, ca 1. Stunde von hier.» Schaff ich nicht. Trotzdem Danke. Er braust davon. Der Chef vom Laden kommt nach draussen. «Klar kannst Du dich hinter unserem Laden hinlegen. Neben der Lüftung. Die ist zwar ein wenig laut.» Kein Problem. Wirklich lieb. Er will natürlich noch meine Story wissen und so plaudern wir ein Weilchen.
Lehne mich erst mal an die Lüftung und esse Reis. Reis mit Mayo. Fein.
Mein Kopf ist heiss. Bin aber gut gelaunt. Geniesse diese Freiheit. Weiss, dass die Temperatur in der Nacht nicht unter 31° Grad sinkt. Zum Glück geht ein Lüftchen. Die Natur hilft mir immer wieder. Das Lüftchen trocknet die Schweissperlen und kühlt so die Oberfläche der Haut ab.
Normalerweise geht am Abend alles zackig. Essen. Zähne putzen, Zahnseide inkl. Mundspühlung. Tagebuch schreiben. Logbuch führen. Matte aufpumpen. Hinlegen und Adiömersi. Heute ist es anders. «Tämpele das ume»! Auch nach 30 Minuten sitze ich immer noch neben der Lüftung. «Mach vorwärts Thesi! Nein warum? Hab ja Zeit! Leg Dich jetzt hin und schlaf! Nein, ich sitze jetzt noch ein bisschen rum!». Ein Auto fährt zu. Eine Familie steigt aus. Der Mann kommt näher…jetzt erkenn ich ihn wieder. Er war doch vorhin mit dem Moped da! Seine zwei Töchter, wollen sofort ein Foto von mir! Die Mutter: «willst Du wirklich hier übernachten? Wir haben ein grosses Haus!». Die Tochter meldet sich dazwischen: «Komm doch zu uns, wir möchten Dich einladen! Unser Grosi kocht schon Curry! Fahr uns nach. LOS!». Echt jetzt?! Ist der Mann nach Hause gefahren und mit seiner ganzen Familie wieder gekommen um mich einzuladen? Eine Träne gesellt sich zum Schweiss. Die Einladung nehme ich sehr gerne an.
Der Ladenbesitzer wurde schon informiert er kommt nach hinten um sich zu verabschieden und natürlich noch ein Foto!
Grosi steht schon in der Tür. «Welcoooome». Die rüstige Dame klopft mir auf die Schultern, klatscht in die Hände und nimmt mir gleich eine Tasche ab. Das Zimmer schon parat mit Matte am Boden und runtergekühlt. Im Sitzbad haben sie 40° Grad heisses Wasser eingelassen. «Nimm ein Sitzbad – ist gut für Deine Muskeln. Hier noch zwei Tücher!» Was soll ich sagen? Das ist so lieb! Danke. Zeige ihr, dass ich ein Handtuch mit dabei habe (Mitiko spricht kein Englisch, nur Welcome und OK). Mein Handtuch verstaut sie schnell in der Tasche und drückt mir ihre zwei frischen erneut in die Hand. Was wünschte ich mir heute? Eine Dusche? Jetzt gibt’s Bad und Dusche! Kann es kaum glauben.
In der Küche ist schon reich aufgetischt. Miso-Suppe, Ingwerstreifen, Curry-Reis mit Auberginen und Okra aus dem eigenen Garten. Es hat sechs Stühle am Tisch – wir sind sieben. Grossvater Syougo setzt sich neben dem TV auf den Boden! Er schaut begeistert Schwimmen live. Das Essen ist herrlich. Es ist einfach so – Das Essen von Zuhause schmeckt immer am besten. Zusammen gucken wir die gefahrene Strecke auf der Japankarte an. Die 13-jährige Tochter Mio ist begeistert. Sie will einmal Lehrerin werden. Ganz langsam und exakt fährt sie mit ihrem Zeigefinger der eingezeichneten Linie nach. Manami, ihre 15-jährige Schwester fragt: «Du musst sicher auf Toilette! Komm ich zeige Dir wo». Ihr Haus ist riesig. Im typisch japanischen Stil. Verwinkelt. Sie zeigt mir die zwei Lichtschalter der Toilette und bevor sie hinaus geht, kontrolliert sie noch das Toilettenpapier. Es ist eine frische Rolle. Sie sucht den Anfang, reisst das erste Blatt ab, welches ja immer in Streifen daherkommt. Welch eine Aufmerksamkeit! Sie wartet draussen auf mich…damit ich wieder zurück in die Küche finde...gar nicht so einfach! Einfach liebe Menschen!
Sie wünsche mir eine gute Nacht und füllen noch Wasser mit Eis in eine Thermosflasche für die Nacht. Liege auf dem liebevoll gerichteten Futonbett und kann mein Glück einmal mehr kaum fassen. In Gedanken wünsche ich Dieser Familie das Beste der Welt! immer! Schlafe wie Zuhause. Ruhig. Am Stück bis 07:00 Uhr.
Mama Noriko und Papa Masauki sagen mir am Morgen in aller Liebe Adieu. Sie trauen sich zuerst nicht aber fragen dann, ob sie mich kurz umarmen dürften. Die beiden nehme ich ganz gross in die Arme! DANKE.
Für heute habe ich mir das dritte Ricolapäckli mit Gletscherminze parat gelegt. Es ist noch zu. Genau richtig. Das schenke ich ihnen. Sie strahlen. «So sind wir auch ein bisschen in der Schweiz gewesen!» Grosi hat schon Frühstück auf dem Tisch. Reis, Algen, Miso-Suppe, Omelette. Und wisst ihr was? Sogar ein Lunchsäckli hat sie parat gemacht. Nein nicht in einem Plastiksäckli. In ihrem Tuch, dass sie in Kyoto gekauft hat!
Jetzt kommt er wieder... Langsam aber sicher... Genau… Der Abschied. Solch einen Abschied in Worte zu fassen liegt mir nicht. Es sind Menschen die ihre Grosszügigkeit, ihre Gastfreundschaft, ihre Liebe, ihr Wohlwollen hier im Jetzt leben und weitergeben. Bedingungslos!
Werde ich zurück in der Schweiz dasselbe tun? Werde ich Reisende die einen Platz suchen ansprechen, sie einladen? Menschen zeigen mir immer wieder wie es geht. Ich werde mein Bestes geben!
Da die Strasse kurz nach ihrem Haus eine Rechtskurve macht, blicke ich nicht zurück, einfach nach rechts! Grosi winkt mit ihrem weissen Handtuch mir nach. Die Töchter filmen. Grossvater lehnt sich aus dem Fenster und winkt.
Das ist die japanische Familie Tamura aus Hofu. DANKE!
Herzliche Grüsse aus Fukuoka
Euer Thesi
PS. Nun sind es zwei A4 Seiten – wusst ich’s doch!
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SILVIA (Dienstag, 28 August 2018 19:45)
Das ist doch fast nicht zu glauben, wie du viele Menschen antrifftst, die dir doch gut gesinnt sind, wie diese Familie Tamura aus Hofu. übrigens ich habe deiner Kollegin diese £Woche eine Ansichtskarte geschickt, ich hoffe sehr, dass diese angekommen ist. Du bist ja jetzt schon in Japan, das ist fast für mich nicht zu glauben, wie lange bist du noch mit dem Velo unterwegs und wann beginnt dien Trekking? Ich vermisse den Beo Sender, du hast am 15.8. zuletzt ein Interviewe gegeben. Seit dem finde ich einfach nichts mehr. Warst du nicht online mit Beo??
Seelenreise (Mittwoch, 29 August 2018 16:39)
Einfach nur noch schön und rührend …..ich bin zutiefst beeindruckt, welch liebe Menschen es überall auf der Welt gibt.
Herzlich, Heidi