Warum biegt der Bus nicht auf seine Spur ein? Er MUSS in den nächsten Sekunden einbiegen. Rechts überholt mich ein
rotes Auto, das wiederum wird von einem Laster überholt. Der hat bestimmt eine Tonne Bambus geladen. Links von mir düst ein Roller haarscharf an mir vorbei! Warum bremst der Bus nicht? Er donnert
in vollem Tempo direkt auf mich zu! Er hupt und warnt mich mit seinen Scheinwerfern. Im letzten Moment drehe ich links weg und Freddy nimmt einen Satz auf die Schotterpiste. Die Glasscherben
funkeln mir schon entgegen.
Ich spüre den kantigen Wind vom Bus, der mir feine Staubkörner in die Augen spickt. Nein es war nicht der Sandmann. Stehe im Dreck, stütze meine Arme auf den Lenker, den Kopf auf die
Lenkertasche. Atme tief ein. Tief aus. Meine Knie zittern. Das war knapp! Auch beim Hinterreifen ist die Luft raus. Platte. Die Vierte. An diesem Tag werde ich auf Java zwei weitere Male beinahe
angefahren. Einmal Taschen gestreift. Bereits auf Bali kündete sich der schnelle Verkehr an. Ich muss einfach vorsichtig sein. Auf West-Java nützt alle Vorsicht nichts mehr. Das ist mir zu viel.
Ich habe mir und meiner Mama versprochen, und verspreche es mir jeden Tag von neuem, das Risiko immer so gering wie möglich zu halten. Währenddessen ich Platten flicke, entscheide ich mich
morgen ein Zugticket für nach Yogyakarte zu lösen. Klar will mein Kopf bis nach Jakarta pedalen, aber mein Kopf hat noch einen Mitspieler. Er arbeitet eng mit Herrn Bauch zusammen. Ein gutes
Team. Sie sind nicht immer einer Meinung, aber sie diskutieren, argumentieren und entscheiden dann gemeinsam. Frau Synapse leitet mir das Ergebnis direkt weiter, die Beine und die Schutzengel
bekommen eine Kopie davon. Es funktioniert. Das Beste an all den Mitspielern – sie sind 24 Stunden 7 Tage die Woche einsatzbereit! Ihr Lohn? Jeden Abend ein ehrliches, von Herzen kommendes
Dankeschön.
Bevor ich am Nachmittag den Zug nehme will ich heute früh aus den Federn. 03:00 Uhr geht’s los bis zum Fusse des aktiven Vulkan Bromo. Der Aufstieg auf den Krater
ist kurz, ein paar Minuten. Erinnere mich an den 7 Stündigen Aufstieg auf den Mount Fuji in Japan. Das war ein Highlight! Aber es liegt schon so weit zurück. Warum nur? Es war doch erst vor knapp
3 Monaten! Weil dazwischen wohl so viele Erlebnisse liegen. Ein weiteres liegt noch einen Meter vor mir. Mit einem einzigen Schritt ändert sich plötzlich alles. Das Rumoren ist erstaunlich laut,
der Rauch steigt auf, er kommt direkt vom Innern der Erde und es stinkt fürchterlich nach faulen Eiern. WOW! Bin überwältig.
Dieser Anblick macht mich demütig. Setze mich auf den Krater und merke wie winzig klein ich bin. Das jetzige Leben ist so kurz. Dieser Vulkan steht schon abertausende Jahre hier und brodelt vor
sich hin. Immer in solchen Momenten realisiere ich, dass das Leben, unser Leben, mein Leben endlich ist. Frage mich, was sind schon die paar Jahre, die ich auf diesem Planeten leben darf? Wohl
wie eine Rauchwolke vom Vulkan. Die Rauchwolke ist zu Beginn kräftig weiss, steigt auf, verblasst langsam und löst sich in der Luft auf. Weg ist sie. Adiömersi.
Einige Rauchwolken steigen höher, andere verschwinden schon im Krater. Wie sieht meine Rauchwolke im Moment aus? Ja sie ist kräftig weiss, ich lebe meinen Traum. Bin voller Energie. Aber auch sie
wird einmal verblassen und sich auflösen.
Vielleicht ist es nicht gut, solche Gedanken zu haben. Aber ich will diese Gedanken unbedingt zulassen. Ich will über den Tod nachdenken. Warum sollte ich mich erst
damit befassen, wenn ich alt bin? Wer weiss denn schon wie alt wir werden? Im Alltag Zuhause bleibt mir oft keine Zeit, mich alleine mit diesem Thema auseinander zu setzen. Aber hier auf dem
Krater ist dieses Thema so nah, so natürlich. Und eben genau wegen diesen Gedanken über das Sterben wird mir von neuem bewusst, dass jeder Moment, so wie dieser hier, ein Geschenk ist! Auch wenn
es nach faulen Eiern stinkt. Ich will mich immer wieder daran erinnern, den Moment zu geniessen und wenn er nicht geniessbar ist, dann will ich den Moment einfach leben! Die Natur lernt mich
immer wieder ein Stück Leben.
Ich säe Erlebnisse um die Erinnerungen zu ernten.
Werden wir wieder technischer. Freddy wird nach obligater Bewunderung in den Zug gehievt. Er kennt sich zwar eher mit der Russischen Bahn aus aber er wird es auch
in der Indonesischen überleben.
Von Yogyakarta aus besuche ich Borobudur.
Mir kommt ein Interview in den Sinn, dass ich vor ein paar Jahren mit Erich von Däniken führte. Er erzählte mir damals an einem runden Tisch hoch über Interlaken
von der grössten buddhistischen Tempelanlage der Welt, die aus seiner Sicht fälschlicherweise als Tempel bezeichnet wird. Wie auch immer, jetzt stehe ich selber da und bin überwältigt von der
Grösse und der morgendlichen Stille. Magisch. Mystisch. Klar, es ist ein touristischer Hotspot, aber da gerade Off-Season ist und die Regenzeit Einzug hält, hält sich auch der Ansturm in
Grenzen.
Von Yogyakarte (sprich: dschodschakarta), plane ich die Weiterreise mit dem Zug direkt nach Jakarta. Die Metropole in der 24 Stunden Rushhour herrscht. Volle 9 Stunden klebe ich am Fenster und
schaue Fern. Die Fahrt führt mitten durch Reisterassen, vorbei an Dörfern wo die Kinder dem Zug zuwinken, grosse Brücken, tiefe Schluchten, viel Abfall. Endstation: Jakarta, Gambir.
Alles geht blitzschnell, alle wollen gleichzeitig Aussteigen. Die warme Luft treibt mir die Schweissperlen ins Gesicht. Viele Menschen. Viele Gerüche. Kein Freddy!!! Er ist
nirgends! Unauffindbar…
Suchende Grüsse aus Jakarta
Euer Thesi
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Hermann (Donnerstag, 01 November 2018 09:24)
Deine Vulkangedanken waren für mich heute Morgen ein richtiger Aufsteller. Sie haben mir gut getan.
Und hoffentlich hast du Freddy inzwischen gefunden.
Seelenreise (Freitag, 02 November 2018 19:49)
Danke für deine Gedanken, liebe Maria-Theresia.
Angesichts des Alters der Erde ist unser Einzelleben in der physischen Dimension jeweils ein richtiger Tropfen auf den heissen Stein....
Hoffentlich ist Freddy in der Zwischenzeit aufgetaucht.
Herzlich,
Heidi