Sitze an einem lottrigen Holztisch in einem Cafe. Die Sonne verschwindet jeden Moment hinter der Bananenstaude.
Blicke auf den Nam Tha Fluss. Er ist trüb. Braungelb. Es ist kühler geworden. Das Thermometer zeigt 20° Grad an und ich friere. Ziehe mir meine gelbe Regenjacke über und realisiere, dass ich
bereits morgen nach China einradeln werde. Da ich dies kaum glauben kann denke ich an die letzten Tage hier in Laos. China kommt erst morgen.
Denke an das Jetzt. Eine braune Ameise kraxelt über die Zahlen auf meiner Tastatur. Wohin will sie wohl? Sie bewegt sich auf fremden Terrain. Woher nimmt sie den Mut sicher hier durch zu kommen?
Was wenn ich jetzt den Laptop zuklappen würde? Sie käme mit nach China. Sie müsste sich neue Freunde suchen. Schiebe sie mit einem Blatt ins Gebüsch. Ja es ist «nur» eine Ameise. Aber wer weiss,
was sie schon für einen Weg zurück gelegt hat. Die kleinen Tiere lernen mich immer wieder in der Geduld.
Heute pushte ich Freddy 2.5 Stunden den Berg hoch bei einer Steigung von 17%. Die winzigen Fliegen sammelten sich rund um meinen Kopf. Das nervt mich immer. Die einen fliegen mir in den Mund oder
in die Nasenflügel. Sage dann zu ihnen: «hey!! Ich bin kein Frischfleisch und auch noch nicht Tod, hier gibt’s nichts zu fressen, haut ab, lasst mich in Ruhe!». Es kommt vor, dass diese mich zur
Weissglut bringen. Heute nahm ich mich bewusst der Sache an. Was haben sie für einen Nutzen davon? Sie baden sich wohl in meinem Schweissdampf, kommen locker den Berg hoch, haben Abwechslung in
ihrem Alltag. Was spricht gegen all das? Nichts! Sie nerven mich ja nur in meinen Gedanken aber sie tun mir nichts. Also nehme ich die kleinen Fliegen mit, lasse sie baden, lasse sie ihren Spass
haben. Sie sind da, aber stören mich nicht mehr. Probiere sie auch nicht zu fangen oder weg zu blasen. Sie gehören zum Aufstieg dazu. So übe ich mich jeden Tag in kleinen Dingen die so belanglos
erscheinen. DAS ist die Lebensschule. All diese Situationen werden mir zugutekommen. Sie sind im Hirn abgespeichert. Tönt verrückt, aber ja, eine kleine Mistfliege lehrt mich tatsächlich in
Geduld. Irgendwie lustig.
Als ich in dem kleinen Dörfchen Donchai einfahre ist es bereits am Eindunkeln. Es riecht herrlich nach Knoblauch. Auf einem gelben Schild steht Dormitory. Bekomme
ein sehr einfaches Zimmer für 3 Franken. Die Laken wurden wohl vor Jahren das letzte Mal gewaschen. Eine Schnecke hat es sich im Bad gemütlich eingerichtet. Spinnfäden zieren den Holzrost vom
Bett. Die Wand Blutrot gestrichen. Ein Fass ist bereits gefüllt mit kaltem Wasser. Perfekt. Was will ich mehr. Es sind Orte wo ich völlig fertig hinkomme, etwas esse, ein paar Zeilen in mein
Tagebuch schreibe, dem Körper und Geiste ruhe gönne und früh wieder losfahre. Heute ist es anders. Wie aus dem Nichts fahren zwei Tourenfahrer zu. Was? Sehe ich nicht richtig? Zwei Velofahrer?
Kaum zu glauben, hier in der Pampa. «Hy, i’m Pete, thats my friend Harvey, wow what are you doing here?».
Wir setzen uns hin und
plaudern. Die beiden Opa’s sind pensionierte Biologie und IT Professoren einer Universität in England und radeln gemeinsam drei Wochen durch Laos. Sozusagen ein Schulreisli für
pensionierte.
Sie packen aus ihren Taschen 4 Liter Beer Lao aus. Hoppla! «Dort vorne hat’s einen Laden, sie haben auch Nudelsuppe, hattest Du schon was zu essen? Komm nimm erst mal ein Bier». Danke meine
Herren aber seit einem Jahr habe ich kein Bier oder Alkohol getrunken, wie auch zuvor höchst selten. Das können sie nicht fassen. «Also, wenn wir abends kein Bier trinken, kommen wir morgens
nicht den Berg hoch! Du wirst schon sehen. Wir fahren pünktlich um 08.30 Uhr ab, wenn Du willst können wir gemeinsam fahren». Fragt sich jetzt nur, ob ich noch ein Liter Bier Lao brauche um mit
ihnen mitzuhalten?! Mal schauen wie sich die Opa’s schlagen werden.
Die Nacht ist lange. Finde den Schlaf nicht. Um 03:00 Uhr gehe ich nach draussen, setzte mich auf eine Pritsche und schaue zum Himmel hoch. Die Mond scheint ganz
hell. Es scheint als sei die Welt, das Universum sooo unendlich gross und weit. Vollmond. Die Grillen zirpen, die Blätter rauschen im Wind. Nachtmusik. Ich liebe diese Momente, die Natur so nahe,
alles scheint möglich zu sein. Schaue ich zum Himmel hoch, sehe ich keine Grenzen. Die Müdigkeit übernimmt mich.
Pünktlich um 08:30 Uhr fahren wir ab. 10 Minuten später Halt für die erste Nudelsuppe zum Frühstück, scharf gewürzt, Hühnerfüsse inklusive.
Schnell merke ich, dass die beiden Opa’s schnell sind. Schnell im Essen, schnell im Denken, schnell im Pedalen. Potzpotz!
Beim ersten Aufstieg schiebt Pete dann doch den Göppel. Beim zweiten mache ich mit und schiebe auch. Beim dritten holt sich auch Harvey den Bergpreis! Wir fahren
durch wunderschöne, friedlich gelegene Bergdörfer. Die Frauen rauchen Pfeife, die Kinder winken mit einem lauten «Sabaideeeee» und die Männer hacken Holz. Bougainvillea’s blühen überall. Die
Abfahrten bringen frischen Wind in unser Trio, und ich fahre den beiden davon…eben das Gewicht!
Wir finden ein hübsches Plätzchen für die Nacht direkt am Fluss. Pete packt sofort seine Fischerrute aus. Was jetzt? «Schleppst Du eine Fischerrute mit? Das ist ja eine echte! Mit Kurbel! Unglaublich». Der Fluss trüb wie dicke Béchamelsauce! Bin ja gespannt. «Fängst Du da was?». «Bestimmt nicht, aber ist doch super als Pensionierter durch Laos zu radeln und am Abend im trübsten Fluss zu fischen, nicht?». Du hast recht. Während Pete fischt, kämpft sich Harvey durch sein GPS. Er, der IT-Professor hat die Landkarten im falschen Ordner abgespeichert und kann nun nicht darauf zugreifen. Ach wie blöd. «Wenn ich nur einen Computer hätte, das nervt mich total, mit den Karten könnte ich alles ganz genau dokumentieren, wie konnte mir dies nur passieren, ich werde alt». Leise ziehe ich meinen LapTop aus der Tasche und stelle ihn ihm vor die Nase. Wie ein kleines Kind strahlt er. Ach wie schön, wenn die Technik dem Opa so Freude bereiten kann.
So, während Harvey Klarheit in seine falsch gespeicherten Karten bringt, fischt Pete in der Trübe. Dieses Bild bringt mich innerlich zum Lachen. Zu lustig. Ohne Fisch aber mit neuen Karten und ein, zwei, drei, vier Bier Lao Schnarchen die beiden wie Weltmeister die ganze Nacht durch.
Heute morgen haben wir uns verabschiedet. Sie fahren 'gen Süden, ich habe noch gute 50 Kilometer vor mir bis zur Chinesischen Grenze. Mir wurde empfohlen am Nachmittag zu passieren. Am Morgen sei zu viel los, alles überfüllt mit Lastwagen und Busse.
Die Zeit hier in Laos war definitiv zu kurz! So wie vor fünf Jahren, schon damals war sie zu kurz. Das Land bietet so vieles. Der Norden hat mir sehr gut gefallen. Die gute Luft, die liebenswürdigen Menschen.
Bestelle mir nun noch einen Tee, muss meine Erkältung auskurieren. Am besten geht dies zwar beim Fahrradfahren aber Tee hilft auch. Seit Juni hatte ich praktisch nie unter 30° Grad. Nun ist es 20° am Tag und 12° Grad in der Nacht. Der Körper reagiert.
Die Taschen sind gepackt und ich bin parat für China. Nach China folgt Nepal. Mir wird bewusst, ich bin in den letzten Zügen meiner Anreise. Alles so surreal. Jetzt gilt noch einmal, ganz im Moment leben, nicht zu sehr ans Ziel denken, im Moment leben und die Welt aufsaugen.
Alkoholfreie Grüsse aus Laos
Euer Thesi
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Seelenreise (Sonntag, 10 Februar 2019 19:31)
Hallo liebe Maria-Theresia,
du bist ja richtig auf dem buddhistischen Weg mit deinen Gedulds-Fliegen-Übungen :-)
Bin ja gespannt, wie "einfach" du die chinesische Grenze passierst.
Herzlich,
Heidi